Wie beeinflusst der Nutzungskontext die Wahrnehmung eines Produktes? Denken Sie an ein Schweizer Offiziersmesser. Es ist ein zuverlässiger Begleiter, wenn Sie auf einer Wanderung eine Rast einlegen und eine Messerklinge, einen Dosenöffner oder einen Korkenzieher benötigen. Doch so toll ein Multifunktionsmesser auch sein mag, Sie würden kaum auf die Idee kommen, es in Ihrer heimischen Küche als Alltagsmesser zu verwenden. Warum nicht? Weil seine Funktionsvielfalt ihren Preis hat. Auf Reisen passt der Funktionsumfang perfekt zu Ihren situativen Bedürfnissen, zu Hause nicht.
Der Nutzungskontext beeinflusst den Umfang der Bedürfnisse eines Nutzers. Er verändert, wie sie eine Aufgabe lösen und wie sie die Anwendung während der Nutzung erleben.
Bei der Betrachtung des Nutzungskontextes geht es um ein Verständnis der tatsächlichen Bedingungen, unter denen eine Software verwendet wird. Nach der DIN EN ISO 9241-11 ist er eine Kombination aus den Elementen Benutzer, Arbeitsaufgaben, Ressourcen sowie physischer und sozialer Umgebung, in dem das Produkt genutzt wird[1].
Oft haben wir bei der Betrachtung des Nutzungskontextes einen eingeschränkten Blick darauf, wie die Nutzungsrealität eines Benutzers aussieht. Das Problem ist, wir denken bei Kontext zuerst an den Nutzungsstandort. Er beeinflusst die Art der Inhalte, die Benutzer wahrscheinlich konsumieren wollen. Für die meisten von uns wäre es sicherlich eine Herausforderung, ein Registrierungsformular auszufüllen, während wir die Straße entlang laufen. Denken wir über den Standort nach, denken wir auch oft an Geräte. Sie beeinflussen, wie der Benutzer mit einer Anwendung interagiert und wie er die Benutzeroberfläche wahrnimmt. Die Nutzung einer Anwendung über ein Smartphone ist etwas völlig anderes als eine Interaktion über einen Breitbildmonitor. Über den Standort und das genutzte Gerät hinaus gibt es jedoch noch eine Vielzahl von Kontextfaktoren, die das Verhalten der Nutzer beeinflussen.
So kann der emotionale Zustand eines Nutzers ein wesentlicher Teil des Nutzungskontextes sein. Das situative Stressniveau und sein Temperament können beeinflussen, wie geduldig ein Nutzer mit einer Benutzeroberfläche interagiert und wie tolerant er auf Ungereimtheiten in der Benutzerführung reagiert. Beispielsweise zeigen Untersuchungen, dass Jugendliche häufig selbstbewusst an die Nutzung von Anwendungen herangehen. Mangelndes Lesevermögen, jugendliche Ungeduld und geringe Rechercheerfahrungen führen dazu, dass ihre Erfolgsrate bei der Lösung von Aufgaben sinkt, weil Bedienoberflächen oft nicht ausreichend an die Anforderungen dieser Nutzergruppe angepasst wurden.[2]
Eine weitere Dimension des Nutzungskontextes sind die Nutzungszeit und die Dringlichkeit der Aufgabenerledigung. Stellen Sie sich vor, Sie suchen um 3 Uhr morgens den Weg zurück zu Ihrem Hotel und Ihr Handy zeigt Ihnen einen niedrigen Batterieladestand an. In diesem Zeit- und Dringlichkeitskontext wäre es für Sie wichtig, von Ihrer Navigationsapp nur relevante Informationen zu erhalten. Sekundäre Informationen wie Restaurantbewertungen oder Bilder kosten Sie nur kostbare Zeit und Akkuleistung.
Am häufigsten werden für die Erfassung des Nutzungskontextes kontextuelle Interviews genutzt. Sie kombinieren das klassische Interview mit der Beobachtung der Anwender im realen Umfeld. Der Interviewer beobachtet den Nutzer, während dieser seinen gewohnten Tätigkeiten nachgeht, und stellt ihm an passenden Stellen Fragen zu kritischen Prozessschritten. Dadurch lassen sich Abläufe von Prozessschritten in der realen Welt nachvollziehen und Umgebungsfaktoren wie klingelnde Telefone oder parallel genutzte Anwendungen erkennen. Zudem ist das Nutzungsverhalten realistisch, sodass Gewohnheiten und Workarounds beobachtet werden können. Eine weitere Möglichkeit mehr über den Nutzungskontext zu erfahren ist die Durchführung von Fokusgruppen. Sie werden mit tatsächlichen oder potenziellen Nutzern einer Anwendung durchgeführt und können Einsichten in den Nutzungskontext, aber auch Anforderungen an die Anwendung liefern.
Mehr zu Human-centered-Design? Hier geht’s zu Teil 4.
[1] DIN EN ISO 9241-11, S. 20
[2] https://www.nngroup.com/articles/usability-of-websites-for-teenagers/
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